Da ich zwischenzeitlich mehrfach gefragt wurde, welches Projekt in Nicaragua ich denn unterstütze, möchte ich hier die Beschreibung noch einmal allen zugänglich machen:
Nicaraguaprojekt – psychotherapeutische Betreuung von Opfern innerfamiliärer Gewalt
Als ich damals (1995-2005) in Nicaragua arbeitete, hatte ich 74 Gemeinden zu betreuen. Alle 3-4 Monate habe ich jede der Gemeinden in den ländlichen Gegenden am Rio San Juan im Süden von Nicaragua besucht. Jeder Besuch begann mit bis zu vier Stunden Beichte. Und gerade in diesen Beichten bekam ich einen Einblick in die familiäre Situation der Campesinos. Und was mich wirklich erschüttert hat, war das Ausmaß an innerfamiliärer Gewalt. Männer misshandelten und missbrauchten ihre Frauen und besonders auch die Kinder. Ehemänner, Stiefväter, Großväter vergingen sich an den schwächsten Gliedern der Familien. Da diese Gemeinden (comunidades ) weitab im Dschungel, fernab jedes Polizeipostens lagen, waren sie gewissermaßen rechtsfreier Raum. Meine Aufforderung, die Täter doch anzuzeigen, lehnten die Frauen und Jugendlichen strikt ab. Weil einerseits sie den Ernährer der Familie trotz allem brauchten, andererseits aufgrund der Korruption in Nicaragua Täter sich leicht aus der Haft freikaufen und sich dann rächen konnten.
Wir begannen dann damals mit einigen Ordensschwestern, die Frauen zusammenzuführen durch kleine Seminare in Handarbeit etc. Der positive Nebeneffekt dieser Zusammenkünfte war, dass die Frauen untereinander ins Gespräch kamen. Sie teilten ihre Erfahrungen, und zum ersten Mal machten manche die Erfahrungen, dass sie nicht alleinstanden. Es waren fast eine Art von Selbsthilfegruppen. Sie halfen sich gegenseitig und bestärkten sich, sich nicht alles gefallen zu lassen.
Das waren die Anfänge der Betreuung der Opfer innerfamilärer Gewalt. Heute haben wir dort eine Psychotherapeutin angestellt, die in den ländlichen Gemeinden psychotherapeutische Begleitung den Frauen, Kindern und Jugendlichen anbietet. Natürlich ist es nicht einfach, den Zugang zu den Opfern zu finden. Wir haben u.a. den Kauf von Laptops finanziert. So begannen die Besuche in den Gemeinden mit Einladungen zu Computer-Seminaren. In den ländlichen Gemeinden sind Computer noch sehr selten und teilweise unerschwinglich und haben insofern eine große Attraktivität. Man lädt ein, zu lernen, wie man mit Computern arbeitet. Dann werden die Frauen und Jugendlichen eingeladen, ein Porträt über sich selbst zu erstellen, gewissermaßen Videos über sich selber, über ihre Wünsche und Erfahrungen. Da lässt sich dann oft zwischen den Zeilen vieles über die häusliche Situation erfahren. Und von dort aus spricht die Therapeutin die Personen einzeln an und versucht ins Gespräch zu kommen über Gewalterfahrungen und die seelischen Verletzungen. So entstanden und entstehen viele therapeutische Prozesse. Das Projekt läuft mittlerweile schon mehrere Jahre und es hat sich gut etabliert. Unser Projekt übernimmt die Finanzierung (Gehalt) der Psychotherapeutin und ihrer Begleiter, sowie Material und Reisekosten.
Derzeit macht die politische Situation in Nicaragua etliche Probleme auch für das Projekt. Daniel Ortega und seine Frau teilen sich die Macht und haben eine (Familien-) Diktatur errichtet. Einige Schlüsselstellen im Staat werden von Familienangehörigen ausgefüllt. Die katholische Kirche wird derzeit besonders drangsaliert und verfolgt. Freie Presse gibt es nicht mehr. Die meisten ONGs (Nicht-Regierungsorganisationen) wurden mittlerweile verboten, weil Ortega ihnen mit Misstrauen begegnet, da sie unabhängig sind und z.T. aus dem Ausland finanziert werden. Ein sprechendes Beispiel: Das „Rote Kreuz“ („Cruz Roja“ auf Spanisch), das ja international agiert und wirklich Menschen in Not beisteht, wurde verboten und dessen Einrichtungen und Ausrüstungen vom Staat konfisziert. Es heißt nun „Weißes Kreuz“ („Cruz Blanca“) und ist nurmehr eine rein staatliche Einrichtung. Was Ortega nicht kontrollieren kann, das lässt er nicht mehr zu. Für unser Projekt ist die Situation insofern schwierig, da die Psychotherapeutin über und in den Kirchengemeinden den Zugang zu den Opfern findet und dazu reisen muss. Ein Beispiel für die Situation: sie und ein Begleiter waren mit den Laptops unterwegs und wurden am Flusshafen, wo sie auf das Boot über den Rio San Juan warteten, von den Beamten aus der Gruppe der wartenden Menschen herausgeholt und verhört: was sie mache, wer sie unterstützt, woher die Laptops kämen, was sie an Themen vermitteln würde… etc. Sie konnte sich zum Glück herausreden, aber dies Ereignis zeigt, wie gefährlich auch für das Projekt derzeit die Lage ist. Ich habe ihr gesagt, sie solle sehr vorsichtig sein, nur in ganz kleinen Kreisen sich treffen bzw. eher Einzeltherapie anbieten. Also das Projekt muss derzeit „unter dem Radar“ laufen, d.h. darf keine Aufmerksamkeit der Behörden erregen. Aber es ist nach wie vor ein sehr wichtiges Projekt.
Insofern danke ich ganz herzlich für Ihre Unterstützung und sage mit dem Nicaraguanischen Ausdruck : „!Que Dios se lo pague!“ (Vergelt´s Gott!).
Jürgen Westhof
Und hier ein Ausschnitt aus einer aktuellen Mail (vom 29.7.2023) von Padre Felix Pedro Jiron, aktuell Pfarrer in der Pfarrei Boca de Saballo am Rio San Juan, wo ich damals auch als Pfarrer verantwortlich war.
„Estoy de parroco en boca de sabalos desde inicio del año.
La situación está tensa, y si, es verdad q nuestras cuentas están bloqueadas, sobre todo los de las parroquias y algunos sacerdotes sus cuentas personales. Por otra parte, todo está siendo controlado, hasta las homilías son mandadas a grabar, por si decimos algo q ofenda al "estado".
Übersetzung: „Ich bin seit Anfang des Jahres Pfarrer in Boca de Saballo. Die Situation ist angespannt und ja, unsere Bankkonten sind eingefroren, vor allem die der Pfarreien und auch die persönlichen einiger Priester. Außerdem wird alles kontrolliert, sogar die Predigten werden (durch Vertreter des Staates) aufgenommen für den Fall, dass wir etwas sagen, was den „Staat“ beleidigt.“